Pippi Langstrumpf – ein Medienprojekt für Familien

1. Einführung

 

Medien sind in unserer Gesellschaft omnipräsent. Die ausgehend davon offensichtlich notwendige Entwicklung von Medienkompetenz ist bereits in der frühkindlichen Bildung ein vieldiskutiertes Thema. Verschiedene Institutionen und Einrichtungen erkennen zunehmend, dass zu ihren Aufgaben auch Angebote gehören, in denen Kinder sich aktiv mit Medien auseinandersetzen und so notwendige Medienkompetenzen entwickeln können.

Im Folgenden soll ein Medienprojekt für Familien vorgestellt werden, das für die Stadtbibliothek in Ludwigsburg entwickelt wurde.

 

2. Pippi Langstrumpf – Ein Medienprojekt für Familien

 

2.1 Die Idee

In Gesprächen mit dem Personal der Stadtbibliothek Ludwigsburg stellte sich heraus, dass Kinder teilweise allein die Bibliothek besuchen, jedoch auch oft mit ihren Eltern und/oder Geschwistern kommen. Dieses Potenzial soll genutzt werden, um generationenübergreifendes Lernen durch, mit und über Medien zu ermöglichen. Anhand des Bilderbuchs „Pippi außer Rand und Band“ von Astrid Lindgren, welches im Oetinger Verlag erschienen ist, sollen Eltern und Kinder eine gemeinsame Fotostory erstellen und anschließend vor den anderen Teilnehmenden präsentieren.

 

2.2 Die Rahmenbedingungen

Das Projekt ist für drei bis fünf Familien geplant, wobei es nicht wichtig ist, in welcher Konstellation diese sich befinden (ein Elternteil und ein Kind, beide Elternteile und mehrere Kinder etc.), denn die für das Projekt relevante Generationendifferenz besteht auch zwischen einem Elternteil und einem Kind. Das Alter der Kinder sollte zwischen sechs und elf Jahren liegen, da sich Kinder in dieser Altersspanne mit ähnlichen Entwicklungsaufgaben beschäftigen (vgl. Oerter/Montada 1998 zit. n. Neuß 2012, S. 124f. ). Die Familien werden die ganze Projektzeit über von pädagogischem Personal (zwei Personen) begleitet und halten sich in den Räumen der Kinder– und Jugendbuchabteilung der Bibliothek auf. In etwa vier Stunden soll eine Fotostory mit Hilfe des Bilderbuchs, mehrerer Kameras und PC-Arbeitsplätzen entstehen.

 

2.3 Der Ablauf des Medienprojekts

Das Projekt umfasst verschiedene, aufeinander aufbauende Phasen, die im Folgenden näher ausgeführt werden:

 

Die erste Phase

In dieser Phase kommen die Familien in der Stadtbibliothek an, das pädagogische Personal begrüßt sie und stellt sich und das Projekt vor. Alle Teilnehmenden stellen sich ebenfalls kurz vor, ein Kennenlernspiel muss nicht durchgeführt werden, da die Familien zunächst nicht miteinander, sondern unter sich arbeiten werden – genauer kennen lernen werden sich die Familien über die Fotostorys, die sie im Laufe des Projekts entwickeln.

Anschließend beginnt eineR der pädagogischen Fachkräfte aus dem oben genannten Buch vorzulesen und die Fotos aus dem Buch zu präsentieren. Dafür muss ein Ort passender gewählt werden: wichtig ist u.a., dass der Ort ausreichend Platz bietet und Ruhe, damit alle den Inhalt nachvollziehen können; damit alle die Bilder aus dem Buch gut sehen können, wäre es von Vorteil, wenn die Bilder hier mit Hilfe eines Beamers präsentiert werden könnten.

Im Anschluss an die Vorstellung des Buches wird erklärt, was im weiteren Verlauf des Projekts passieren soll. Wichtig dabei ist, den Teilnehmenden zu vermitteln, dass sie immer auf das pädagogische Personal zukommen können, um Fragen zu stellen oder sich Anregungen einzuholen.

Die zweite Phase

Die Familien beginnen nun einzeln zu überlegen, was für eine Geschichte sie in ihrer Fotostory darstellen wollen. Sie können – das soll unter anderem in der ersten Phase erklärt werden -, die präsentiere Geschichte weitererzählen oder eine eigene Geschichte mit ähnlichen Themen erfinden.

Falls eine oder mehrere Familien Probleme bei der Geschichtsfindung haben, steht ihnen das pädagogische Personal mit Impulsfragen zur Seite. Beispiele für unterstützende Impulsfragen könnten zum Beispiel folgende sein:

 

Was hat euch an der Geschichte gefallen, was nicht?

Wann habt ihr euch schon mal so gefühlt wie Pippi?“

Was würdet ihr machen, wenn ihr einen Tag lang Pippi sein könntet?

 

Sobald die Familien eine Idee für ihre Geschichten haben, beginnen sie Fotos zu machen, die den Verlauf ihrer Geschichte darstellen.

 

Die dritte Phase

Die Familien gucken die Fotos, die sie gemacht haben, am Computer an und wählen die Bilder aus, die sie für ihre Fotostory brauchen. Diese erstellen sie mit Hilfe von Programmen wie Powerpoint oder Impress von Open Office: Wie hier Fotos und Sprechblasen miteinander kombiniert werden können, wird u.a. auf der Seite mediascouts-nord. de erläutert. Anschließend werden die Fotostorys für jedes Familienmitglied ausgedruckt.

Die vierte Phase

In der letzten Phase kommen alle Familien zusammen. Unter der Moderation des pädagogischen Personals präsentieren sie ihre Fotostorys und sprechen über diese. Dabei können die Bilder, die Umsetzung und besonders die Inhalte leitend für das Gruppengespräch sein. An den entstandenen Geschichten orientiert versuchen die pädagogischen Fachkräfte die Inhalte aus den jeweils unterschiedlichen Sichtweisen der Familien zusammenzufassen. Dabei soll es nicht um eine Bewertung gehen, sondern herausgestellt werden soll, dass verschiedene Menschen Sachverhalte ähnlich, aber auch sehr unterschiedlich wahrnehmen und betrachten können.

Zuletzt bedankt sich das pädagogische Personal bei den Teilnehmenden und verabschiedet diese.

 

2.4 Warum eignet sich Pippi Langstrumpf für ein solches Medienprojekt?

Pippi Langstrumpf ist eine von Astrid Lindgren geschaffene Medienfigur, die schon seit Jahrzehnten sehr beliebt bei Kindern ist, was seine Gründe hat: Ihre freche und selbstbewusste Art und ihre Geschichten mit Thomas und Annika greifen zentrale Entwicklungsthemen von Kindern im Alter zwischen sechs und elf Jahren auf – Identitätsfindung und Freundschaft (vgl. Oerter/Montada 1998 zit. n. Neuß 2012, S. 124f. ). Eine Figur, die von vielen Generationen gekannt und geliebt wird, ist eine gute Basis für generationenübergreifende Medienarbeit. Die Themen, die von dieser Medienfigur aufgegriffen werden, sind Themen, die von Eltern und Kindern im Alltag ohne direkten Gesprächsanlass eher schwierig zu besprechen sind. Sie sind jedoch wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes; und auch die meisten Eltern machen sich Gedanken darüber, ob ihre Kinder die richtigen Freunde haben oder selbstbewusst genug sind.

Darüber hinaus ist die Figur Pippi Langstrumpf in unterschiedlichsten Medienformaten präsent, das heißt, die Inhalte der Geschichten sind über  vielfältige Art und Weise zugänglich. Da die meisten Menschen mit einer Stadtbibliothek zunächst Bücher assoziieren wird als Anregung für das Projekt ein Bilderbuch gewählt. Die darin enthaltenen Fotos sollen, wie oben schon erwähnt, Anregungen für eigene Fotos bieten.

 

2.5 Die Bedeutung des Materials

Das Buch soll erste Anregungen bieten und einen Einstieg in das Projekt geben. Die Kamera ermöglicht es, eigene Gedanken zu verbildlichen und ist sowohl für Erwachsene als auch für Kinder einfach zu handhaben; entsprechend sollte keine Kamera mit zu vielen Funktionen und Einstellungsmöglichkeiten für das Projekt verwendet werden, damit der Fokus auf den Bildinhalten und nicht auf technischen Details liegt.

Der PC-Arbeitsplatz sollte so ausgerichtet sein, dass sich mehrere Personen um den Computer setzen können, um die Fotostory gemeinsam gestalten zu können. Da die Fotostory ausgedruckt werden kann, ist sie nicht nur eine von vielen Fotodateien auf einem Smartphone, sondern kann zu Hause aufgehängt und präsentiert werden.

 

2.6 Die Bedeutung des pädagogischen Personals

Das pädagogische Personal ist vor allem wegen der Entwicklungsthemen, die in der Geschichte vorkommen, notwendig. Die pädagogischen Fachkräfte sollen bei der Geschichtsfindung unterstützend wirken und Gespräche moderieren. Dabei soll darauf geachtet werden, dass der Prozess und nicht das Produkt im Vordergrund steht – dazu gehört auch, ehrgeizige Eltern zu bremsen und unsichere Familien zu bestärken.

 

2.7 Die Ziele des Medienprojekts

Ziele der ersten Phase: Das Interesse der Familien für das Projekt soll geweckt werden. Die vorgelesene Geschichte und die darin enthaltenen Fotos können Anregungen für die eigene Geschichte liefern.

Ziele der zweiten Phase: Hier werden erste Gespräche zwischen den Kindern und den Elternteilen über die Figur Pippi Langstrumpf sowie über die Inhalte der Geschichte entstehen. Außerdem werden die Familien mit der Kamera gestalterisch aktiv.

Ziele der dritten Phase: Die gestalterische Aktivität aus der zweiten Phase wird fortgeführt, jetzt jedoch am Computer. Es wird darum gehen, die Geschichte zu formen; Bild und Text zusammenzubringen. Überlegungen die Aussagekraft der einzelnen Fotos betreffend sowie dazu passende Formulierung in den Sprechblasentexten sind dabei zentral. Die ausgedruckte Fotostory ist ein Produkt, das mit anderen geteilt und weitergereicht werden kann.

Ziele der vierten Phase: Die Familien haben die Gelegenheit, ihre Fotostorys vor den anderen Familien zu präsentieren und damit ihre  Ansichten zu einzelnen Themen darzulegen. Zunächst ging es darum, einen Austausch innerhalb der Familien zu ermöglichen, in dieser Phase sollen sich die Familien untereinander verständigen. Dabei können sie ähnliche Perspektiven einnehmen, aber auch unterschiedliche, was zu weiteren Gesprächen innerhalb der Familien führen kann.

Zudem erhalten die Familien einen Moment der Wertschätzung für das, was sie geleistet haben.

 

Gesamtziele des Projekts: „Medienpraktiken in Familien vollziehen sich häufig zwischen Angehörigen unterschiedlicher Generationen“ (Kluge/Schlör 2014, S. 1), was zu Konflikten zwischen den Generationen führen kann. Das hier vorgestellte Projekt kann dem entgegen wirken, indem es gemeinsame Aktivitäten und Gesprächsanlässe schafft, wodurch ein miteinander, übereinander und voneinander Lernen stattfinden kann. Des Weiteren soll es dazu verhelfen Medienspuren in Gesprächen und darstellenden Szenen  – hier beim Fotografieren – zu finden, um die Entwicklungsthemen von Kindern aufgreifen zu können. (vgl. Neuß 2012, S. 37)

Da Kinder ohnehin „in einen inneren Dialog mit ihren Medienhelden“ (Neuß 2012, S. 34) treten, um sich mit ihren eigenen Themen zu beschäftigen, ist ein solches Projekt ein Weg, diesen Dialog zu verstärken und ihn zu einem Dialog zwischen Kindern und Eltern weiterzuentwickeln. Durch den Umgang mit der Kamera und dem Computer werden die Familien gestalterisch aktiv; sie können erfahren, dass Medien nicht nur konsumiert werden, sondern aktiv genutzt werden und auch Ausdrucksmittel sein können. Zudem findet ein Perspektivwechsel (vor und hinter der Kamera) statt, der aufzeigen kann, wie manipulativ Medien sein können (vgl. Kluge/Schlör 2014).

Insgesamt fördert dieses Projekt folglich generationenübergreifendes Lernen sowie die Entwicklung von Medienkompetenz bei allen Teilnehmenden.

Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Lernerfahrungen für Kinder und ihre Eltern durch das Projekt möglich sind.

 

3.1 Mögliche Lernerfahrungen der Familien

Es ist medienpädagogisch sinnvoll, sich an den Interessen der Kinder zu orientieren, wenn man ihnen einen Lernprozess ermöglichen will. Laut Neuß sind für Kinder die Medienfiguren interessant, mit denen sie eigene relevante Erlebnisse verbinden. Sie stehen mit diesen in einem „inneren Dialog“, durch den sie sich selbst weiterentwickeln können. (vgl. Neuß 2012, S. 28)

Durch die gemeinsame Entwicklung der Geschichte im Verlauf des Medienprojekts bietet sich den Kindern die Gelegenheit, diesen „inneren Dialog“ auszudrücken und zu kommunizieren. Im Gespräch kann die Familie anhand der Geschichte verschiedene Ansichten diskutieren und lernen, diese anzunehmen. Das Gespräch wird durch die Entwicklung der Fotostory weitergeführt.

Des Weiteren findet durch das Projekt ein „Wechsel von der passiven Nutzung zur aktiven Gestaltung“ (Anfang/Demmler 2010, S. 47) statt, die Teilnehmenden können erfahren, dass Medien den Ausdruck von Emotionen, Meinungen etc. ermöglichen.

Alle Familien werden zudem an Sicherheit gewinnen, was den Umgang mit der Kamera und Computerprogrammen betrifft. Sinnvoll ist es hier besonders die Kinder auf gestalterische Effekte der Programme hinzuweisen (z. B. Einstellung des Hell-Dunkel-Kontrastes, Verzerrung von Fotos etc.).

Dadurch, dass der Fokus des Projekts darauf liegt, gemeinsam etwas zu kreieren, können Eltern ihre Kinder als selbstbestimmte und aktive NutzerInnen von Medien erleben. Dies kann weitverbreitete Vorurteile aufheben, zum Beispiel, dass Medien per se ein grundsätzliches Gefahrenpotenzial für die Entwicklung von Kindern bergen.

Eltern werden auch bemerken, dass sich Medienfiguren eignen, um mit den eigenen Kindern bestimmte Themen zu besprechen (zum Beispiel Freundschaft), ohne sie zu offensiv oder abstrakt damit zu konfrontieren.

 

3.2 Mögliche Probleme im Projektverlauf und Lösungsansätze

Das Projekt könnte beispielsweise dadurch gefährdet werden, dass es den Familien schwer fällt, die Geschichte weiterzudenken beziehungsweise eine neue zu erfinden. In einer solchen Situation muss das pädagogische Personal feinfühlig reagieren und den Familien vermitteln, dass es nicht um das Produkt, sondern um den Prozess geht. Hierfür können die Impulsfragen hilfreich sein, wobei zu beachten ist, dass diese möglichst offen gestellt werden sollten, so dass die Kinder und Eltern ausgiebig darauf antworten können, um Ideen für ihre Geschichten zu finden.

Ein weiteres Problem könnte ein zu hoher Anspruch seitens der Familien bezüglich der Fotostory sein. Dieser könnte dazu führen, dass die Kinder nicht aktiv werden. Auch hier liegt es am pädagogischen Personal, die Ziele des Projekts zu vermitteln und somit die möglichen Lernerfahrungen weiterhin aufrecht zu erhalten. Bezüglich der Handhabung von Kamera und Programmen könnten technische Probleme entstehen, die ernst genommen werden müssen, da sie zu Frustrationsmomenten führen können, die die Lust auf weitere Aktivitäten minimieren könnten.

Im Vorfeld sollte darauf geachtet werden, dass Kameraa uns Programme leicht zu bedienen sind (Photoshop eignet sich beispielsweise nicht, da dieses Programm tiefergehende Kenntnisse vorraussetzt, um gute Effekte zu erzielen).

Es könnte auch sein, dass die Kinder sich mit der Medienfigur Pippi Langstrumpf überhaupt nicht identifizieren können und kein Interesse an ihr haben (falls die Eltern sich ohne Absprache mit den Kindern für das Projekt angemeldet haben sollten). Das Projekt ist jedoch so ausgelegt, dass Pippi Langstrumpf nicht zwingend eine zentrale Funktion haben muss, daher sollen die Familien in diesem Fall eine Geschichte mit ähnlichen Themen erfinden, ohne an der Medienfigur festzuhalten.

 

Literatur

Tileman, F. (2011): Echt oder Spiel? – Medien durchschauen lernen. In: 4 bis 8. Ausgabe: Januar/Februar Nr. 1/ 2. S. 19-21.

 

Neuß, N. (2012): Qualität aus Sicht der Kinder. Was machen Kinder mit Fernsehgeschichten. In: Kinder & Medien. Seelze: Klett/Kallmeyer. S. 26-39.

 

Kluge, U./Schlör, K. (2014): Aktuelle Forschungs – und Medienprojekte. Intergenerationelle Medienbildung in Familien. Theoretische Grundlage und praktische Anwendung. In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik. Ausgabe 17/2014. S. 1-5.

Neuß, N. (2012): Qualität aus Sicht der Kinder. Was machen Kinder mit Fernsehgeschichten. In: Kinder & Medien. Seelze: Klett/Kallmeyer.

 

Anfang, G. /Demmler, K. (2010): Ganzheitlichkeit als Grundprinzip der Medienpädagogik. In: Lutz, K./Struckmeyer, K. (Hrsg.) Erzählkultur. Sprachkompetenzförderung durch aktive Medienarbeit. München: kopaed. S. 47-53