Animiert: Die Welt in 100 Jahren
Am 20. Juli 2020 haben Student*innen der Pädagogischen Hochschule und der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg im Rahmen der Vorlesung Einführung in die Medienpädagogik, die in diesem Semester aufgrund der Regelungen zum Umgang mit dem Coronavirus ausschließlich online stattfinden konnte, zu einem Online-Trickfilmnachmittag eingeladen.
Gezeigt haben die Student*innen der Frühkindlichen Bildung und Erziehung kurze animierte Gifs und Trickfilme, die sie zu der Frage produziert haben, wie Erziehung und Medien in 100 Jahren aussehen könnten, wie die Kita in 100 Jahren womöglich aussehen wird, wie sie sich vorstellen, in 100 Jahren zu arbeiten.
Sie haben dieses in einer Zeit getan, in der ihr Studium in einer bisher nicht dagewesenen Art und Weise von digitalen Medien strukturiert, geprägt, ja bestimmt war. Sie haben für ihre Trickfilme Texte von Autor*innen gelesen, die sich 1910 in dem Buch Die Welt in 100 Jahren überlegt haben, wie das Leben wohl 2010 aussehen wird, und diese Texte zeigen Erstaunliches. So lässt sich in dem Kapitel Das drahtlose Jahrhundert von Robert Sloss nachlesen, was er sich für eine Südpolexpedition im Jahr 2010 vorstellte: „Der ‚Sturmvogel‘ war seit länger als achtundvierzig Stunden ruhig und sicher über die Eisfelder geflogen, als ein plötzliches Stillstehen des Motors den Kapitän aus seinem tiefsten Schlummer weckte.“ Statt jemanden in den Maschinenraum zu schicken, fragt der Kapitän in der Zukunftsvorstellung von Sloss, ob das Schiff einen Fehler gemeldet habe. „‚Keine Meldung vom Schiff?‘ fragte der Kapitän, sich ans Steuer begebend, und gerade, als er fragte, kam ein zuckendes, blitzartiges Aufleuchten und ein metallisches Knistern von dem Telephonapparat zu seinen Füßen. Er nahm den kombinierten Reciver [sic!] und Transmitter sofort auf und befestigt ihn an seinem Kopfe. ‚Das Schiff spricht mit uns‘, sagte er. ‚Der Dynamo ist nicht in Ordnung.'“
Klingt wie das Internet der Dinge und geht mit einem Telefonat vom Südpol nach Europa weiter: „Kettner verband das halbdutzend leichter, aber ungemein kraftvoller Batteriezellen mit einander, machte die nötigen Handgriffe, drückte den Knopf nieder und das allgemeine Anrufsignal ging hinaus in den Aether. Der Leutnant lauschte und lauschte, aber keine Antwort kam; plötzlich aber lächelte er: ‚So jetzt habe ich sie; die Bermuda-Station hat sich gemeldet, ja … mit Frau Kapitän Kingsley … jawohl.'“ Robert Sloss stellt sich nur etwa fünfzig Jahre, nachdem es überhaupt die ersten Fernsprechapparate gab, und achtzig Jahre bevor flächendeckende Mobilfunknetze aufgebaut wurden vor, wie drahtlose Telefongespräche aussehen könnten: „Sofort legte sich der Kapitän den Hör- und Sprechapparat um und schaltete den Fernseher mit ein, so daß er mit seiner Frau nicht nur sprechen konnte, sondern sie in dem an den Apparat aufgeschraubten, feingeschliffenen Metallspiegel auch sah und jede ihrer Bewegungen und den Ausdruck ihrer Gesichtes beobachten konnte.“
Die drahtlose Funkübermittlung begann zwar schon um 1900, aber Privatgespräche gab es so damals nicht: „Eine Viertelstunde lang und noch länger dauerte das Gespräch, denn was hatte man sich nicht alles zu sagen. Er gab einen ganz genauen Bericht von seiner Fahrt über das ewige Eis und seinem Zwischenfall, der ihn verhinderte, jetzt schon am Südpol zu sein. Sie war natürlich stolz auf den unsterblichen Triumph ihres Mannes, und ehe sie das Gespräch abbrach, ließ sie noch des Kapitäns Töchterchen, seinen Liebling, an das Telephon kommen.“ Die Geschichte präsentiert Vorstellungen von dem, was einmal sein könnte, sein soll. Aber auch etwas, das sich ebenso an den Filmen der Student*innen offenbart: In unseren Zukunftsvorstellungen gehen wir von dem aus, was uns gerade beschäftigt, womit wir aktuell umgehen, was uns aktuell Angst macht, was uns aktuell irritiert. So geht es bei Robert Sloss um die Entdeckung des Südpols, ein großes Thema zu seiner Zeit: So stand der erste Mann 1911, also ein Jahr nach der Veröffentlichung des Textes, auf dem Südpol. Auch die Ehefrau, die stolz auf ihren Mann sein soll, der die Welt erobert, während sie zu Hause auf das geliebte Töchterchen aufpasst, zeigt, dass hier etwas 1910 erzählt wird und (eher) nicht 2020.
Und so lässt sich möglicherweise in den Filmen der Student*innen erkennen, dass sie in einer Zeit entstanden sind, in der ihre Macher*innen verdammt dazu waren, erst einmal für sich zu begreifen, was da eigentlich passiert; verdammt dazu, damit klarzukommen, dass der Bildschirm vielleicht nicht das Fenster zur Welt werden sollte, aber doch das Fenster, über das sie fast ausschließlich Kontakt aufnehmen durften und sollten, über das sie ausschließlich kommunizieren sollten, durch das sie andere sehen, aber auch sich selbst zeigen sollten.
Sie haben Etherpads, Chats, Foren und Videokonferenzen versucht. Am Ende des Semesters lässt sich wohl sagen: die Personen, die da nachdachten, diskutierten, Bedeutungen aus- und verhandelten, wurden nicht sichtbar wie gewohnt, konnten sich nicht (be)greifen, berühren wie gewohnt, auch über den intimen Webcamblick in private Räume nicht.
Offen bleibt, was das (weitere) Spiel mit unterschiedlichen (medialen) Ausdrucksformen vielleicht doch noch zugänglich machen kann; ob es gelingt, mehr zu zeigen, als Lektüre- und Textaufgaben, die in einer Art und Weise gestellt werden, dass sie nur *eine* Auslegung von Inhalten erlauben.
Ich denke, die in Trickfilmen gegossenen Zukunftsvisionen, beeindrucken:
Christine Wieser: Blockpraktikum
Stephanie Schulz: Ein außergewöhnlicher Tag im Kindergarten im Jahr 2120
Deborah Hösch: E-Mind-Mail Express
Johanna Scheld: Im Zukunftskindergarten
Hadassah Sørensen: Morgens bei Nina im Jahr 2120
Teresa Ertl: Ein ganz normaler Tag
Luana Feges: Ohne Titel
Sina-Marie Mayer: Traum vom ersten Schultag
Lena Werner: Urlaub im Jahr 2120
Eva Liebisch: Ein Kita-Tag im Jahr 2120
Ann-Marie Class: Kinderhaus der Zukunft
Isabell Hautzinger: Ohne Titel
Alena Winona Gangl: Ein Einblick in die Zukunft
Maren Schuster: Ein Stromausfall hat natürlich(e) Folgen
Clarissa Dieterle: 2120
Laura Nägele: Kinderbildungszentrum
Dilara Gülsan: Ohne Titel