Was verraten uns so genannte Bildungskoffer, die für die Entdeckung von Bienen, die Produktion von Trickfilmen oder auch zum Thema Meeresmüll zusammengestellt werden, über Vorstellungen davon, wie Kinder lernen und was sie lernen bzw. welche Erfahrungen sie machen sollen? Und wie sehen im Vergleich dazu so genannte Lern-Apps aus, die die Entdeckung von Bienen oder Meeresmüll ermöglichen, Verkehrserziehung fördern oder Englisch lernen unterstützen sollen? Grundschullehramtsstudierende und Studierende aus dem Studiengang Frühkindliche Bildung und Erziehung haben im Sommersemester 2017 Bildungskoffer und Apps recherchiert, ausprobiert und rezensiert.
Unter anderem beschäftigten sie sich mit den folgenden Lernspielen und -plattformen:
1. Ampelini – App des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. u.a. zum Thema Verkehrserziehung, ausgezeichnet mit dem Goldenen Online-Spatz für die beste Webseite 2011 und dem Erfurter Netcode.
Urteil der Student_innen:
Die App ist sowohl kostenlos, als auch werbefrei und behandelt laut Entwicklerwebsite die Themen Verkehrssicherheit und Brandschutz. Zudem werden mögliche Gefahren in der Freizeit, sowie zu Hause thematisiert. Die App wird im App-Store für den Gebrauch ab vier Jahren empfohlen. Lese- und Schreibfähigkeiten sind keine Voraussetzung, da alle Texte gesprochen werden. Bei dem Spiel ‚Finde die Gefahr im Straßenverkehr‘ sieht man eine belebte Kreuzung, auf der allerhand falsches und gefährliches Verhalten gezeigt wird, das die Kinder durch Anklicken verbessern sollen, damit kein Unfall passiert. Hier wird beispielsweise gesagt, dass man immer auf dem Gehweg laufen soll oder nur an einer Fußgängerampel über die Straße gehen darf, da die Autofahrer einen sonst nicht sehen.
Die App ist rein instruktiv gestaltet und soll greifen, indem sie Kindern vorführt, wie sie sich im Straßenverkehr zu verhalten haben. Dabei wird nicht von ihrem eigenen Wohnumfeld ausgegangen, nicht von ihren eigenen Erfahrungen, sondern von den Geschichten, die durch die Ampelinis präsentiert werden. Auf die Verantwortung von Autofahrern oder anderen Verkehrsteilnehmern wird nicht eingegangen, das Kind trägt alleine die Verantwortung und kommt nur sicher durch den Verkehr, wenn es sich richtig verhält. Da die App vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft in Auftrag gegeben wurde, wundert das nicht.
2.
Conni Englisch – Lernspiel vom Carlsen-Verlag für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, ausgezeichnet mit der
GIGA-Maus 2017.
3.
Gro Garden – App zum Thema Nachhaltigkeit, Gewinner des Swedish Living Green Award 2012
Urteil der Student_innen:
Die App ist eine Vokabel-App zur Vermittlung eines Grundwortschatzes von 1300 der wichtigsten Wörter und Wendungen der deutschen Sprache. Sie ist sowohl für iOS (Apple) als auch für Android (Samsung, HTC, etc.) erhältlich und kostenlos downloadbar. Gedacht ist sie vor allem für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, sie soll ihnen als Grundlage für den Erwerb der deutschen Sprache dienen. Herausgeber der App ist der Mildenberger Verlag, ein Schulbuchverlag mit Lehr- und Lernmaterialien für die Grundschule und weiterführende Schulen in Kooperation mit der Phase-6 GmbH, einem digitalen Vokabeltrainer.
Die App besticht durch eine einfache, nachvollziehbare und größtenteils selbsterklärende Handhabung. Die in der App verwendete Sprache ist einfach und verständlich. Allerdings ist für die Bedienung eine gewisse Lesekompetenz notwendig, da sonst bei der Bearbeitung nur geraten werden kann. In den Einstellungen können Jingles aktiviert, die automatische Aussprache, das Vibrieren bei Fehlern und die Silbierung ein- oder ausgestellt werden. Ist die Silbierung aktiviert, werden die verschiedenen Silben in allen Wörtern farblich dargestellt (blau/rot). Die klare Struktur der App gibt vor, dass man zu Beginn jedes Themenbereichs verschiedene Wörter und/oder Sätze hört, diese mit der Unterstützung von Bildern einordnen kann und sieht wie diese geschrieben werden. Anschließend gibt es die Möglichkeit die Wörter und Sätze nachzusprechen, aufzunehmen und abspielen zu lassen. So soll mit der Originalversion verglichen werden können. Danach wird der eben vorgestellte Wortschatzbereich durch Multiple-Choice – der Sprecher liest eine Vokabel vor, es gibt vier verschiedene Bilder zur Auswahl, auf das richtige Bild muss gedrückt werden, um fortfahren zu können – und per Memory – die Bilder zu den Vokabeln müssen mit der korrekt gesprochenen Vokabel verbunden werden – abgefragt und vertieft. Dabei werden die verschiedenen Vokabeln immer wieder visuell, akustisch und schriftlich wiederholt. Eine Statistik zeigt, wie viele Wörter man bereits gelernt beziehungsweise bearbeitet hat und wie viele Punkte zur Freischaltung des nächsten Levels nötig sind.
Jeder Themenbereich ist genau gleich aufgebaut und umgesetzt, was sicher den Vorteil mit sich bringt, dass sich nur auf das Vokabular konzentriert werden kann und die Abläufe klar sind. Problematisch ist jedoch, dass hierbei rein instruktiv gearbeitet wird. Der Nutzer der App hat keinerlei Gestaltungs- oder Auswahlmöglichkeit. Es werden vorgegebene Vokabeln aus vorgegebenen Themenbereichen vorgesagt, und der Nutzer muss diese nachsprechen beziehungsweise reproduzieren. Die Qualität eines Lernprozesses hängt sehr stark von der Beteiligung des Lernenden ab bzw. inwiefern sich dieser einen Lerngegenstand zu eigen machen kann (vgl. Schäfer 2005). Hier schafft die App keinen Anreiz. Der Nutzer wird nicht vor ein Problem gestellt, das er lösen kann bzw. das ihn herausfordert. Enstprechend kann die App schnell ihren Reiz verlieren. Wünschenswert wäre ein interaktiverer Zugang, der den Nutzern der App ermöglicht individueller und autonomer den eigenen Wortschatz zu erweitern.
Möglich wäre hier eine Funktion mit der eigene Bilder von Gegenständen hochgeladen werden können, um diese dann in den Wortschatz zu integrieren, so dass tatsächlich relevantes Vokabular mit Lebensweltbezug behandelt werden kann. Das Belohnungssystem, mit dem in der App gearbeitet wird, ist problematisch: Durch den Videospielcharakter besteht die Gefahr, dass der Fokus vor allem auf das Erreichen des nächsten Levels gelegt wird und die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand in den Hintergrund gerät.
7. Praxisapp
naturgucken: Netzwerk für Tier- und Pflanzenbeobachtungen.
Urteil der Student_innen:
Mit der App können Tiere und Pflanzen bestimmt werden. Sie enthält ca. 190 der gängigsten deutschen Arten. Wir können sie ab 7 Jahren empfehlen, da Kinder lesen können müssen. Der Hersteller macht keine Altersangabe, deklariert sie aber als Einsteigermodell. Hinter der „Praxisapp naturgucken“ steckt naturgucker.de, eine gemeinnützige eG. Naturgucker.de ist ein soziales Netzwerk für Naturbeobachter. Die App läuft offline und ist somit besonders gut geeignet für die Bestimmung im Gelände. Allerdings muss erwähnt werden, dass die App ein sehr großes Datenvolumen hat. Die Auswahl an Bestimmungs-Apps ist groß, allerdings haben sich fast alle Anbieter auf ein Thema wie z. B. Vogel- / Blumenbestimmung spezialisiert. Das hat zur Folge, dass zwischen den Apps gewechselt werden muss. Dies kann für Kinder schwierig sein, da alle Anwendungsoberflächen anders sind und sie sich immer wieder einarbeiten müssen.
Die App Naturgucken beinhaltet Pflanzen, Reptilien und Tiere und deckt fast alle gängigen Arten in Wald und Flur ab. Damit diese App tatsächlich Lernprozesse unterstützen kann, sollten nicht die Bestimmungen und die Artporträts der App als das Wissen, das es zu lernen gilt, angesehen werden, sondern als Angebot, bisheriges Wissen oder bisherige Vorstellungen und Deutungen zu reflektieren, zu diskutieren und evtl. zu erweitern. In der App gibt es über die Funktion des ‚Feldbuches‘ die Möglichkeit, eigene Beobachtungen zu dokumentieren. Die Eingabefelder sind sehr begrenzt, aber wir sehen hier die Möglichkeit für Kinder, das zu dokumentieren, was sie entdecken und beobachten, so dass sie später an Hand ihrer Dokumente ihre Entdeckungen und Beobachtungen reflektieren können.
Für die Selbsterfassung von Beobachtungen empfiehlt es sich, die App auf einem Tablet zu laden und nicht auf einem Smartphone, da die Handhabung und Eingabe für die Kinder auf dem größeren Medium leichter ist. Die App sollte bei Exkursionen in die Natur nicht im Zentrum stehen, sondern als Ergänzung bzw. Impulsgeber genutzt werden, um Perspektiven zu erweitern.
8.
Trialogo – sprachtherapeutische Spiele für Kinder.
9.
esspaar – Bildersuchspiel zur Ernährungspyramide – 7 Stufen zur Gesundheit, herausgegeben vom österreichischen Gesundheitsministerium.
Urteil der Student_innen:
Laut Herausgeber soll mit dem Onlinespiel, das wie ein Memory funktioniert, die ideale Dosis für eine ausgewogene Ernährung spielerisch präsentiert werden. Das Spiel hat eine klare, sich selbsterklärende Struktur, die eine einfache Handhabung ermöglicht. Insgesamt besticht das Spiel durch eine übersichtliche Gestaltung, die insbesondere durch eine schlichte Farbgebung erzielt wird. Nach einer Einführung in das Spiel durch einen Erwachsenen ist die Durchführung (ohne anschließende Betrachtung der Ernährungstipps am Ende des Spiels) auch ohne Lesekompetenzen möglich, da die verwendeten Symbole leicht zu verstehen sind. Am unteren Bildrand befindet sich ein Link, der auf die Internetseite des Bundesministeriums führt. Hier erhält man Informationen und Tipps zum Thema Gesundheit und Ernährung.
Damit wird Eltern (und deren Kindern) neben dem gemeinsamen Spiel die Möglichkeit gegeben, sich weiter über das Thema zu informieren und auszutauschen. Allerdings bietet die Webseite Kindern nur wenig bis keine Möglichkeiten selbstständig Informationen zu recherchieren. Eltern müssen hier entscheiden, inwiefern ihren Kindern ein Zugang zu einzelnen Themen alleine möglich ist oder ob gemeinsame Aushandlungsprozesse zu Themen notwendig sind. Es gibt keine Audioinhalte für Kinder, die überhaupt nicht lesen können. Das Anklicken der Ernährungspyramide ist leider nicht möglich; es wäre toll, wenn die Tipps im Anschluss des Spiels interaktiv gestaltet wären.